Gravitationsfeld Mensch
Notizen von Manuel Rodriguez
zur Performance von Domenico Billari Markthalle Basel, 2. Sept. 2008
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Domenico Billari empfängt uns in der Mitte des riesigen Kuppelbaus der Markthalle Basel. Über seinem Kopf schwebt eine überdimensionale Traube von roten Wetterballons. Die mit Helium gefüllten Ballons sind mit Schnüren an seinem Körper befestigt. Die Tragkraft der Ballons ist spürbar. Billaris Schuhsohlen scheinen den Kontakt zum Boden fast zu verlieren.
Der Künstler begrüsst uns und erzählt in seinem typischen italo-englischen Slang von Freiheiten die man sich nehmen muss, die uns nicht geschenkt wer- den. Er erzählt von Kunst und Alltag. Er richtet sich in einer sehr direkten Weise an uns und schafft mit seinen Worten eine Stimmung des Vertrauens, eine gemeinsame Ausgangslage für das bevorstehende Experiment. Die Span- nung liegt wortwörtlich „in der Luft“ und wird vom intrigierenden Humor in Domenico Billaris Erzählungen unterstützt. Die Frage drängt sich auf: Wird der Künstler abheben? Verliert er den Kontakt zum Boden und kann er wirklich fliegen? Meine Erwartungen kämpfen mit ihrer Ungeduld. Ein Bild, das ich aus meinen Träumen zu kennen glaube, fügt sich vor meinen Augen livehaftig zu einem realen Erlebnis. Wird das real entstehende Bild meine Fantasie beflügeln oder beschneiden?
Domenico Billaris Präsenz formiert sich zu einem unausweichlichen State- ment. Die Wechselwirkung zwischen Körper und Raum wird fast unerträg- lich. Neugierig erwarte ich mit dem Publikum den bevorstehenden Kulmi- nationspunkt der Auflösung. Da tippt Domenico Billari urplötzlich mitten in seiner Erzählung mit einer leichten Bewegung seiner Fussspitze auf den Boden und hebt ab. Ich staune wie ein Kind und kann es kaum glauben. Der Typ hebt tatsächlich ab und schwebt leicht wie eine Feder in die Höhe des Kuppelbaus. Ich bin nicht der einzige der jetzt nur noch staunt. Absolute Stille ergreift den Raum. Billari schwebt über den Köpfen des Publikums und strahlt vor Glück. Das Glücksgefühl ist ansteckend. Die am Boden gebliebenen werden zu Verbündeten und Augenzeugen. Billari hat erreicht was er zusammen mit uns erfahren wollte! Nach einem Moment des Aufstei- gens und Schwebens sinkt er sanft zurück zu unseren Köpfen. Doch bevor er landen kann, tippt jemand mit der Fingerspitze an seine Schuhsohlen und lässt ihn wieder aufsteigen. Ein unwillkürlicher Reflex, ein Spiel beginnt. Domenico Billari zieht seine Bahnen durch die Weite des Kuppelbaus und wird dabei von seinem Publikum unterstützt. Je höher er fliegt umso un- gläubiger wird das Staunen im Raum. Das Spiel wird zur Metapher für ge- sellschaftliche Verhaltensmuster. Wer hilft uns zu fliegen? Wer unterstützt einen jungen Künstler beim Abheben? Und wie hart kann eine Landung nach einem Höhenflug sein?
Domenico Billari vollzieht mit kindlicher Leichtigkeit ein urtümliches Bild wie wir es aus Träumen zu kennen glauben. Das Überwältigende daran ist jedoch nicht die Tatsache dass sein Plan technisch funktioniert; es ist viel- mehr die Verbundenheit mit dem Publikum und das Vertrauen das er mit seinen Worten aufgebaut hat. Er hat eine tatsächliche Basis geschaffen, die es uns ermöglicht mitzufliegen, loszulassen und sich leicht zu nehmen.
Diese Erfahrung der „Leichtigkeit des Seins“ ist ein zentraler wiederkeh- render Aspekt in Billaris Performances. Er bewegt sich mit grosser Selbst- verständlichkeit zwischen den Bereichen der bildenden und der darstellenden Künste. Dabei entwirft er sehr zeitgemässe, eindringliche Situationen zur Hinterfragung zwischenmenschlicher Kommunikation. Seine Performances sind geprägt von einem hohen Mass an Risikobereitschaft und Aufrichtig- keit. Seine Anliegen sind echt und ehrlich. Domenico Billari überzeugt mich immer wieder durch eine sehr eigenständige künstlerische Haltung mit der er seine Gedanken in performative Statements übersetzt.
Manuel Rodriguez